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Leseprobe

Da war diese dunkelblaue Reisetasche aus Kunstleder. Sie hatte zwei übergroße, goldene Schnallen und unzählige Reißverschlüsse – natürlich auch golden. Das Sensationelle war, dass die Reißverschlüsse gar keine Funktion, sondern nur zur Attrappe in das chice dunkelblaue Kunstleder eingenäht waren. Warum macht man so etwas? Auf der Vorderseite waren dann noch zwei große Buchstaben drauf genäht – ein J und ein M – in knallrot. Ich habe bis heute keine Ahnung, was diese zu bedeuten hatten oder für was sie standen. Vielleicht „Ja Meine“ oder „JO MAN“. Eins weiß ich dennoch genau, die Tasche war gruselig hässlich.

Meine Mutter hatte aber kein Erbarmen oder vielleicht auch keine andere Tasche, jedenfalls musste ich jeden Sonntag diese Tasche aufs neue packen. Schlüpfer, Socken, T-Shirt, Hose, alles Notwendige für eine Woche. Ausgefüllt war die Tasche damit nicht und es hätten bequem noch Sachen für zwei weitere Wochen rein gepasst. Sie war also nicht nur gruselig hässlich, sondern auch einfach viel zu riesig. Und so schickte mich meine Mutter dann in die große weite Welt.

Ich war 17 Jahre alt. Es war an der Zeit einen Beruf zu lernen und die Zukunft in Angriff zu nehmen. Mein eigenes Geld verdienen und solche Sachen. Wobei ich mir schwor, dass mein erstes selbst verdientes Geld in eine neue, chice Reisetasche gestopft wird, also in die Investition einer solchen. Eine die ich mir umhängen könnte und dann nicht gleich belächelt werde. Doch es sollte nicht so schnell dazu kommen, denn die Tasche entpuppte sich bald als ein idealer Begleiter.

Jeder hat als Kind so seinen Traumberuf. Bei mir war es der Beruf des Zootechnikers und an dieser Stelle muss ich mal sagen: „Es ist toll, wie man in der damaligen DDR doch einen so einfachen Beruf wie den des Stallburschen klangvoll veredelte.“ Zootechniker, das hat doch was. Aber mir ging es nicht um einen exotischen Klang der Berufsbezeichnung, sondern ich hatte Spaß beim Umgang mit Kühen und Schweinen, was ich bei meiner Ferienarbeit in der LPG merkte. Übrigens, wer hier Fragezeichen auf der Stirn hat für den sei erklärt, LPG bedeutet Landwirtschaftliche Produktions Genossenschaft und war in der DDR ein staatlicher Zusammenschluss von vielen kleinen Bauern zu einem Großen, also von wenig Mist zu viel Mist.

Doch der Beruf des Zootechnikers wurde mir ausgeredet. „Mit deinen Zensuren kannst du doch viel mehr aus dir machen.“ „Willst du dein ganzes Leben im Schweinestall arbeiten?“ „In Gummistiefeln bekommt man Schweißfüsse.“ „Die Zootechniker müssen in der Gastwirtschaft immer alleine sitzen, wegen dem Geruch.“ Ok, das war dann ein Argument das gegen den Zootechniker sprach, denn auch wenn meine Karriere als Biertrinker noch in den Kinderschuhen steckte, so wusste ich doch schon, dass alleine Bier trinken keinen Spaß macht.

Ich suchte weiter nach meinem Traumjob und stieß dann auf den Beruf des Journalisten. Bei genauerem Hingucken, musste ich aber feststelle, dass dafür das Abitur nötig ist. Damit war dieser Beruf auch aus der Liste gestrichen, denn freiwillig zwei Jahre länger zur Schule gehen wollte ich nicht.

Letztendlich entschied ich mich dann auf den Bau zu gehen und Fliesenleger zu werden. Das Berufsbild erschien mir interessant und das Geld sollte dem Sagen nach auch stimmen. Was mir dann dieser Beruf wirklich ermöglichen würde, wie er mein Leben lenken sollte und was für unterschiedliche Menschen mir durch die Baustelle stolpern würden, das konnte ich damals nicht im Geringsten erahnen.

In den ersten Monaten meiner Lehrzeit brachte meine Mutter mich immer mit dem Auto zum Bahnhof. Ich nahm meine Reisetasche aus dem Kofferraum und verabschiedete mich von ihr. Meine gruselig hässliche, viel zu große, blaue Kunstlederreisetasche mit den großen roten Buchstaben J M und den goldenen Schnallen und funktionslosen goldenen Reißverschlüssen hing wie ein nasser Einkaufsbeutel von der Schulter. Am Bahnsteig traf ich dann alle die, die das gleiche Schicksal mit mir teilten und in einer anderen Stadt zur Lehre gingen. Die Tasche versuchte ich dann immer so gut es ging zu verbergen, was nicht unbedingt leicht war.

Ich wollte Fliesenleger werden oder besser gesagt Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, doch in meiner Heimatstadt Salzwedel gab es keine Lehrstelle für diesen Beruf. So musste ich nun für die Praxis 100 km bis nach Magdeburg fahren und für die Theorie ins 200 km entfernte thüringische Buttstädt reisen.

Meine Mutter machte mir immer ein riesiges Stullenpaket. Es waren so viele Brote, dass eine normale Brotdose gar nicht reichte und sie mir eine Gefrierdose überließ, die 22cm im Quadrat und 10cm hoch war. Ich weiß das genau, weil ich sie mal ausgemessen habe – ja ausgemessen. Ich glaube die wenigsten Menschen messen ihre Brotdosen aus, aber ich tat dies und hatte einen guten Grund dafür.

Bevor ich das erste Mal eine Fliese in die Hand bekam stand trockene Theorie auf dem Plan. Vier Wochen Berufsschule in dem idyllischem Städtchen Buttstädt im Thüringer Becken. Nach Hause ging es auf Grund der Entfernung nur an den Wochenenden. Die übrige Zeit war ich mit Meinesgleichen in einem LWH (Lehrlingswohnheim) untergebracht. Werkstoffkunde, Zeichnen und Technologie hießen einige der staubtrockenen theoretischen Unterrichtsfächer und nachdem ich dann vier Wochen später wusste, woraus eine Fliese besteht und welche Verlegetechniken es gab, war es soweit. Auf die Theorie sollte nun die Praxis folgen. Doch bevor ich endlich spüren durfte wie sich eine Fliese anfühlt, lernte ich noch das spannende Prickeln beim Lesen eines Lohnstreifens kennen. Es war fantastisch. Mein erstes eigenes selbst verdientes Geld. Und dabei hatte ich mich noch nicht einmal schmutzig gemacht. 120,-Ostmark stand da auf der 50cm langen und 2cm hohen Papierschlange. Um alles zu verstehen, was da an Prozenten wo hin geschoben wurde, hätte ich studieren müssen, aber irgendwie fand ich heraus, dass am Ende des mathematischen Wirrwarrs der Auszahlungsbetrag stand. 80,- Mark blieben mir nach Abzug aller Steuern, Sozialabgaben, Versicherungen und der LWH-Kosten übrig. Man war ich stolz. Das bedeutete ich hätte ab sofort für jede Woche ca. 20 Mark zum ausschäddern. Im Gegensatz zu meinen vorher monatlichen 5 Mark Taschengeld eine deutliche Verbesserung. Verflixt, da fiel mir wieder meine dunkelblaue Kunstlederreisetasche ein. Ich beschloss kurzer Hand den Kauf einer Neuen noch etwas zu verschieben und in dem kommenden Monat mal richtig einen drauf zu machen.

Ich war Teil einer 12-köpfigen Lehrlingsbrigade, die alle das gleiche Ziel hatten – den Facharbeiter als Fliesenleger. Unser Ausbildungsbetrieb stellte uns eine Baustelle zur Verfügung, welche zu Übungszwecken nicht idealer hätte sein können – die damalige Diamant Brauerei in Magdeburg. Da auch Magdeburg etwa 3 Stunden Bahnfahrt von meinem Heimatort entfernt war, stand mein Bett die Woche über ebenfalls im LWH.

Wir trafen uns morgens um 7.00 Uhr in einem alten Bauwagen. Jedem Lehrling wurde sein Spint zugeteilt und wir lernten unseren Lehrmeister kennen. Nach kurzer Einweisung durch diesen gab es nun endlich unsere erste Wirkungsstätte zu sehen.

Der dunkle, verwinkelte Keller des alten Brauhauses sollte ab nun an unser Arbeitsplatz sein. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Da war nichts mit Badezimmer, Küche oder Schwimmbecken. Dafür, alte feuchte Felssteinmauern, Gewölbedecken, Rundbögen und enge Kellerflure. Es roch überall nach Hefe und Bier und das Tageslicht hatte hier unten keine Chance.

Doch ich gewöhnte mich schnell an die Umgebung und ja, ich fühlte mich sogar wohl. Ich schloss Freundschaft mit dem Braumeister Rolf, der immer wieder nach dem Bier in den Gärbecken schaute, welche sich in unmittelbarer Nähe meines Arbeitsplatzes befanden. Wenn er Morgens das erste Mal vorbei kam tänzelte er pfeifend und leichtfüßig über meine Fliesenkartons und rutschte elegant an meinem Mörtelkübel vorbei. Am Nachmittag sah diese Prozedur schon etwas anders aus. Das Pfeifen war zu einem weichen Zischen geworden und die Fliesenkartons wurden zu gefährlichen Stolperfallen. Nicht selten landete er dann kurze Zeit später in meinem Mörtelkübel und hatte Schwierigkeiten sich selbst aus der misslichen Lage zu befreien. Ich half ihm dann immer wieder auf die Beine und weil ich so ein lieber, netter Kerl war, gabs zur Belohnung ein großes Glas leckeren Gerstensaft, frisch aus dem Gärbecken. Das konnte ja nicht verboten sein, denn an dem Becken bedienten sich ständig irgendwelche Brauereimitarbeiter.

Die Materialversorgung in der DDR war bekanntermaßen nicht ganz ausgegoren und es kam zu vielen Engpässen. Fliesen waren da keine Ausnahme und diese gab´s nur auf Zuteilung oder mit Beziehungen. Ich war jetzt plötzlich eine Person die mit Fliesen zu tun hatte und schon nach zwei Wochen auf der Baustelle kam die erste Anfrage. „Kannst du mir nicht ein paar Quadratmeter Fliesen besorgen? Und vielleicht kannst du sie mir auch gleich verlegen?“ Wow, das hatte ich so nicht erwartet. Gerade mal eine zweiwöchige Berufserfahrung steckte in meinen Händen und nun sollte ich ein kleines Badezimmer fliesen. Ich hatte keine Ahnung wie ich die Fliesen besorgen sollte und geschweige denn, wie man ein Badezimmer fliest. Egal, ich sagte prompt zu und überlegte, wie ich meinen ersten eigenen Auftrag realisieren konnte.

Dicht neben unserem Bauwagen befand sich das Materiallager unserer Lehrlingsbrigade. 12qm waren von meinem Kunden bestellt und unser Lagerbestand zählte über 200 qm, alles die gleichen Fliesen, was nicht unbedingt selbstverständlich war. Wandfliesen 15*15 cm in grau marmoriert. Die Fliesen standen also da, doch wie schmuggel ich diese am unauffälligsten vom Brauereihof? 12qm Fliesen sind mal nicht eben so in der Hosentasche zu transportieren und mit ca. 15 kg pro Quadratmeter auch nicht gerade leicht.

Es war Montag und ich saß mit meinen Lehrlingsbrüdern gerade am Frühstückstisch. Da fiel mein Blick auf meine Brotdose. Es dauerte keine 10 Sekunden, als ich den Zollstock aus der Tasche zog und Muttis Stullenkiste ausmaß. Kurzes rechnen und ich kam auf 10 Stück der begehrten Keramikware, die die Brotdose beherbergen könnte. Das bedeutete 5 Arbeitstage in der Woche wären ein Quadratmeter Fliesen. In 12 Wochen könnte ich also die bestellte Ware liefern. Ich begann am selben Tag meinen Plan in die Tat umzusetzen und ließ unauffällig 10 Fliesen in den unendlichen Weiten meiner Verpflegungsschatulle verschwinden. Jeden Tag 10 Fliesen, das wird keinem auffallen.

Am Freitag nahm ich nur 4 Fliesen mit, denn ein ordentlich zusammengefalteter Fliesenkarton musste auch noch mit in die Brotbüchse. 44 Fliesen waren nun in meinen Besitz übergegangen, was genau einem Quadratmeter entsprach.

Endlich Wochenende. Es ging nach Hause und ich packte schnell noch die hässlige, dunkelblaue Kunstlederreisetasche. Diese erwies sich nun als ideale Fliesentransporttasche und während die Tasche am Montag noch 10 kg wog, hatte ich jetzt 25 kg über der Schulter. Mein Plan war pefekt und mein Kunde zeigte große Freude über die Ankündigung der kurzen Lieferzeit von 12 Wochen.

Die Sache lief wie am Schnürchen. Sonntag Abend schlenderte ich leichtfüßig mit meiner dunkelblauen Kunstlederreisetasche mit den goldenen Schnallen und Reißverschlüssen und den knallroten Buchstaben über den Bahnsteig und überlegte mir seltsamer Weise sogar, dass wenn das Geschäft soo weiter läuft, ich diese billigen Goldimmitate mal durch echt vergoldete oder gar aus purem Gold bestehenden Schnallen und Reißverschlüsse ersetzen kann, wobei ich den Reißverschlüssen natürlich eine richtige Funktion verpassen würde. Wie gesagt, Sonntags konnte ich die Tasche locker durch die Luft schwingen, was am Freitag dann schon anders aussah. Trotzdem ich die kunstlederne Reisetasche öfter von der linken Hand in die rechte und wieder zurück wechselte, schienen meine Arme immer länger zu werden. Doch ich hatte ein Ziel vor Augen und das verlieh mir enorme Kräfte

Es war in der neunten Woche und es fehlten mir noch 4 Quadratmeter, als unser Lehrmeister eine außerordentliche Lehrlingsbrigadeversammlung einberief. „Unter uns ist jemand, der sich unerlaubt am Fliesenlager bedient.“ Das waren seine Worte. Danach 5 Minuten Stille. „Ich hoffe derjenige hat den Mumm und kommt nachher zu mir und erklärt mir die Angelegenheit.“ Damit entließ er uns wieder an die Arbeit.

Es war früher Nachmittag des selbigen Tages und Rolf der Braumeister machte gerade seinen Kontrollgang an den Gärbecken. Wie so oft half ich ihm kurze Zeit später aus meinem Mörtelkübel, der an diesem Nachmittag voller war als an den anderen Nachmittagen. Als Rolf endlich den Mörtel aus seinen Hosentaschen gepuhlt hatte, fragte er mich was los sei. „Du hasccht doch sonscho umdie Seit dein – hiuq – Mötel wechjearbeidet!“ Ich erklärte ihm was uns der Meister gesagt hatte. Rolf holte uns erst einmal ein Becherchen Bier. „Euer Meisster isn guda. Geh hin un sachim dasch du die Kachiln hast.“

Woher wusste Rolf das? Ich grübelte ein Weilchen und machte dann meinen Arbeitsplatz sauber. Ich schlich langsam über den Brauereihof zum Bauwagen. Als ich die Tür öffnete schaute mich mein Meister über seine Brille freundlich an. „Ich wusste, dass du ein pfiffiges Kerlchen bist. Setz dich.“ Dann erklärte er mir, ihm sei aufgefallen, dass ich morgens meinen Verpflegungsbeutel mit meiner Brotdose locker am Handgelenk trug und der selbe Verpflegungsbeutel zum Feierabend meinen Arm straff in Richtung Brauereipflaster zog. Daraufhin schaute er dann mal in meinen Spint und auch in meine Brotdose, die zu diesem Zeitpunkt schon wieder ihre 10 Fliesen in sich hatte. Ich war also ertappt, doch es passierte etwas völlig anderes als ich erwartete.

„Ich hoffe du weißt, was Fliesen kosten? Normal, unter der Hand meine ich, sind es 1,50 Mark. Pro Stück!! Wie viel Fliesen brauchst du noch?“ Ich fragte ob ich die jetzt bezahlen muss. „Nein, aber das nächste Mal informierst du mich und fragst vorher.“ Am folgenden Tag nahm ich meine Reisetasche mit zur Arbeit, denn dieses Mal wurde nicht meine Brotdose aufgefüllt, sondern es landeten die mir noch fehlenden 4 Quadratmeter Fliesen im dunkelblauen Kunstleder. Es war das erste Mal, dass meine ungeliebte Reisetasche richtig gefüllt war und irgendwie fing ich an diese Tasche zu lieben.

Nun mussten die Fliesen nur noch an die richtige Position und an den folgenden 3 Wochenenden war ich in dem Badezimmer meines ersten Kunden beschäftigt.

Ich legte meinen Stundenlohn auf 5 Mark fest, was ich als angemessen empfand. Am Ende des dritten Wochenendes war es geschafft. Das kleine Badezimmer war gefliest und der Kunde zufrieden. Ich machte meine erste Abrechnung.

12 qm Fliesen liefern = 12*66,00 Mark=792,00 Mark

Arbeitslohn = 6 Tage * 10 Stunden * 5,00 Mark= 300,00 Mark

Gesamt = 1092,00 Mark.

Der Kunde freute sich und rundete die Summe noch mit etwas Trinkgeld auf und am Ende hatte ich 1150,00 Mark in meiner Latzhose.

Meine Lehrzeit hatte eigentlich gerade erst begonnen und mein monatlicher Lehrlingslohn von 80,00 Mark war, zu dem was jetzt schon in meinem Geldbeutel steckte, nur ein Trinkgeld. Das alles war nur der Anfang und es sollte so weiter gehen.

Spätestens jetzt hätte ich mir eine neue Reisetasche kaufen können, doch das tat ich nicht. Nein, ich war weiter mit der dunkelblauen, aus Kunstleder gefertigten Reisetasche, mit den übergroßen goldenen Schnallen und Reißverschlussatrappen unterwegs. Doch ich machte eins. Ich gab die Tasche beim Sattler ab und ließ die beiden großen knallroten Buchstaben J M entfernen und durch zwei große knallrote Buchstaben ersetzen. F K stand da jetzt auf dem Leder. Und bei diesen Buchstaben wusste ich, was sie bedeuteten. Fliesen – Kay.

Ich war jung und hatte das Geld

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Das sagte immer unser Meister, doch so richtig verstanden habe ich die Bedeutung dieser Worte nie. Vielleicht sollte ich mich mal informieren, was Herrenjahre eigentlich sind.

Wenn ich an meine Lehrjahre zurückdenke weiß ich jedenfalls, dass es eine wunderschöne Zeit war. Meine Privatkunden gaben sich die Klinke in die Hand und ein Badezimmer nach dem anderen wurde an den Wochenenden, neben meiner Lehre, von mir abgearbeitet. Natürlich übernahm ich dabei meistens auch die Materialbeschaffung, die nicht ganz legal, aber sehr lukrativ war. So war mein Geldbeutel immer prall gefüllt und in meiner Freizeit war es schwer für mich, das Geld wieder auszugeben.

Nach Beendigung des ersten Lehrjahres wurde dann unsere Lehrlingsbrigade gesplittet und unser Betrieb, welcher ein großes staatliches Kombinat war, verteilte uns Stifte auf die Großbaustellen der ganzen Deutschen Demokratischen Republik. Die Zeiten mit dem frischen lecker Bierchen direkt aus dem Gärbecken und die lustigen Nachmittage im Brauereikeller mit Rolf dem Braumeister waren nun vorbei. Doch mit den neuen, großen Baustellen kamen auch die großen Materiallager, welche prall gefüllt waren.

Ich war noch Lehrling, was bedeutete, dass ich neben meiner Arbeit, auch die älteren Kollegen mit Arbeitsmaterial versorgen musste. Dadurch hatte ich auch immer den Schlüssel für das Lager und somit ständigen Zutritt zu riesigen Mengen an Fliesen. Diese mussten nun nur noch an die richtigen Stellen verteilt werden.

„Freitag um eins macht jeder seins.“ So war es auch bei uns Fliesenlegern. Und während sich die Facharbeiter pünktlich um 13.00 Uhr auf ihre Schwarzbaustellen verabschiedeten, machte ich einen letzten Kontrollgang ins Materiallager. Die große Brotdose meiner Mutter diente inzwischen nur noch ausschließlich als Brotdose, aber die dunkelblaue Reisetasche war auf dem Kontrollgang durch die Fliesenstapel nicht zu ersetzen und wurde randvoll mit der heiß begehrten Keramikware gepackt.

Das verlief nicht immer ganz ohne Zwischenfälle, so wie zum Beispiel im damaligen Grand Hotel in Berlin (Ost). Hier lagerte das Material auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Großbaustelle, welche unter ich glaube japanischer oder chinesischer Bauleitung stand. Die Asiaten hatten überall ihre Wachleute mit solch neumodernen Walki-Talkis stehen, damit nicht mehr aus dem Hotel raus getragen, als rein geschafft wurde. Es war Freitag um 13.30 Uhr und ich wollte meine, mit Knopfmosaik (im Osten absoluter Goldstaub) voll bepackte Schubkarre vom Baustellengelände schieben, als ich von einem kleinen Chinesen mit großem, blauen Helm gestoppt wurde. „Wo willst du das hinblingen?“ Ich versuchte in seiner Sprache zu antworten. „Unsel Mateliallagel ist dolt dlüben auf del andelen Stlaßenseite und wil wollen das Matelial übels Wochenende nicht auf del Baustelle lassen. Wegen del Klauelei und so, du weißt schon.“ Das fand der Baustellenwächter sehr verantwortungsvoll von mir und begleitete mich noch über die Straße. Als er dann außer Sichtweite war, surrte der Reißverschluss meiner dunkelblauen Kunstlederreisetasche und das gute Mosaik war sicher gestellt.

Das Geschäft konnte nicht besser laufen und es kam sogar vor, dass mich meine Kunden am Freitag von der Baustelle abholten und die bestellten Fliesen gleich in dem Kofferraum ihres PKW verschwanden.

Am Samstag und Sonntag versuchte ich dann meine, wir sagten früher „Privatarbeit“, abzuarbeiten, was zeitlich auf Grund des Auftragsvolumens nicht immer gelang. In diesen Fällen wurde dann mein Hausarzt konsultiert, der mir sofort einen gelben Schein ausfüllte, welcher mir eine schwere Grippe bestätigte. Das war für meinen Arzt des Vertrauens kein Problem, denn auch bei ihm hatte ich schon die Fliesenkelle geschwungen und er wusste das zu schätzen. Irgendwann musste ich nicht einmal mehr in seine Praxis, sondern ein Anruf genügte und am Abend steckte der Krankenschein bei mir im Briefkasten – natürlich mit meinen gewünschten Freitagen. Ich machte mir keine Vorwürfe deswegen. Schließlich war ich noch Lehrling und mehr als auf meinen eigenen Privatbaustellen konnte ich auf meiner Lehrbaustelle auch nicht lernen.

Nun bestand meine Lehrzeit natürlich nicht nur aus Arbeit und dem sinnvollen Umlagern von Fliesen. Nein, es gab auch die Zeit zwischen dem Geld verdienen.

Als ich in das Berufsleben startete, war ich 17 Jahre alt und ich war nicht unbedingt der Junge, den man einen Frühstarter hinsichtlich der schönsten Sache der Welt nennen konnte. Ihr wisst schon, ich meine Sex.

So, das muss dann erstmal reichen. ich würde mich freuen wenn ihr mir einen Kommentar hinter lasst und vielleicht auch Anregungen für den Buchtitel habt.

 

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